Maltherapie – Fluch oder Segen?
13. Januar 2023
es war einer meiner besten Entscheidungen, mich in dieser Klinik anzumelden. Ich habe noch nie erlebt, dass man sich so viel Zeit für mich nimmt. Stundenlange Gespräche, tägliche Arztvisite und wöchentliche Supervision. Sprudelbäder, Fango, Gymnastik und vieles mehr werden hier angeboten, unter anderem eben diese Maltherapie. Ich habe mich gleich zu Beginn dagegen entschieden, obwohl die Ärztin und auch meine „Schwester“ dafür plädierten. Warum ich dann doch zusagte war, dass Heidi, meine Tischnachbarin auch dabei war und noch zwei andere Frauen und somit eine Gruppe entstand, in der ich mich gern integrierte. Maria und Ludovica sprechen nur italienisch, Heidi und ich eben nicht, sodass es eine bunte Verständigungspalette gab, so vielseitig, wie die Farben, die wir zur Verfügung hatten.
Ich fühlte mich zu Beginn, als sässe ich bei einer Prüfung, es war mir gar nicht wohl und innerlich hätte ich heulen mögen, obwohl ich ja keinen Grund hatte. Der Druck, intuitiv ein Bild zu malen, erschien mir einfach zu gross. Ich zog eine Karte, auf der war alles gelb. Als ich mich dann endlich für wasserlösliche Kreide entschieden hatte und die schönen bunten Stifte begutachtete, da war es mir gar nicht um gelb. Ich wollte das Loslassen malen, aber auch die Liebe, die Heilung und das Vertrauen. Wie bringt man so etwas auf Papier und dann noch ein Papier mit dem Mass A2? Ich begann dann mit einer rosaroten Kreide eine Art Drachenwesen zu zeichnen, fröhlich, freundlich, weiblich – das Endergebnis prangt als Titelbild. Es hat einen tannengrünen Körper und schwimmt in Wasser oder fliegt in der Luft. Das liegt im Auge des Betrachters und es war schön, diese Gegensätze im Bild zu erfassen. Auch das weiche runde Gesicht zu dem zackigen eckigen Körper… Schön war es für mich, mit der Kreide keine exakten Linien nachmalen zu müssen, vorgegebene Formen genau auszufüllen. Es musste nicht perfekt sein. Dann pinselte ich mit Wasser alles weicher und fliessender und fand das Produkt zuletzt recht schön, aber etwas fehlte und ich wusste nicht was. Ich schloss die Augen und sah, dass der Drache etwas trug, einen Schatz ans Herz gedrückt hielt. Diesen verewigte ich auf dem Bild mit einem nachtblauen Stern, der funkelt wie ein Diamant (was man auf dem Bild nicht sieht)… Fünf weitere Sterne kamen dazu und dann fühlte sich das Bild fertig an, Die Sterne dynamisieren das Bild, geben Schwung! Erst nach der Maltherapie fiel mir auf, dass der heftige Kopfschmerz, der mich mit der ersten Einnahme des Mittels befallen hatte, völlig weg war, einfach aufgelöst, nichts mehr da. Das fand ich wunderbar, so deutlich und klar zu spüren, wie tief diese Malbefreiung gehen kann.
Neben den Gesprächen, Therapien und Anwendungen bleibt genug Zeit, damit ich spazieren gehen kann. Ohne Bewegung werde ich zum Zombie. Von Orselina führen ganz viele Treppen nach Locarno, Minusio, Tenero, und ich nutze diese Möglichkeiten gern, obwohl es gummige Beine gibt, die vielen Treppenstufen zu gehen (pro Weg zwischen 1000 und 3000 Stufen!). Heute wanderte ich viele viele steile Treppenstufen nach Muralto, dann am See entlang wieder nach Locarno und die vielen Treppenstufen an der Madonna del Sasso vorbei zurück nach Orselina. Auf der Piazza grande blüht das Leben. Strahlende Menschen sitzen beim Cappuccino oder schon beim Gläschen Wein. Ein sonnenfroher Tag, T-Shirt-Wetter und einfach prächtig. Mein Zimmerfenster lässt einen Blick auf den Lago maggiore zu und ich habe Sonne vom Morgen bis zum Abend. Die Palmen vor dem Fenster sind mit jubilierenden Vögelchen geschmückt, ab und zu schaut eine Biene bei mir vorbei und begibt sich dann wieder in den Garten zu den blühenden Tulpen. Ich würde auf Frühling plädieren! Wer ist dabei?