wenn alte Gespenster auftauchen
3. April 2023
Mir geht es gerade so, dass ich mich mit solchen Gedanken aufhalte, die weder Hand noch Fuss haben, halt eben, so, wie Gespenster, die einem das Fürchten lehren, obwohl sie ja bekanntlich nicht existieren.
Mein Thema war es immer, dass ich gemocht werden wollte, geliebt werden wollte – wer will das nicht… Ich habe mich dafür verbogen, verstellt, verändert und angepasst – mein grösster Fehler. Ich kenne Menschen, die wissen, dass sie geliebt werden, weil sie eben so sind wie sie sind. Die haben nicht einmal den Gedanken daran, sich für jemanden zu verformen…
Ich habe auch schon den Satz von Byron Katie zitiert, der besagt, dass wenn sie einen Wunsch frei hätte, sie sich wünschen würde, nicht um Aufmerksamkeit oder Liebe buhlen zu wollen… Ich finde das Zitat gerade nicht in seinem Original, aber sinngemäss ist es so und sinngemäss ist es auch mein Ding!
Aus meiner Praxis kenne ich es gut von den Tieren! Sie wissen genau, welche Register sie zu ziehen brauchen, um Aufmerksamkeit, Fürsorge, Liebe und Streicheleinheiten zu bekommen!
Mir fiel Aufmerksamkeit, Fürsorge, Streicheleinheiten, Balsam für die Seele seit meiner Krebs-Diagnose einfach so zu. Manchmal war es fast zu viel Aufmerksamkeit, nicht von den Einzelnen, sondern wenn alles auf einmal wie eine Flutwelle ankam. Als es mir so schlecht ging, war mein Mann mit liebevoller Fürsorge an meiner Seite, man wollte für mich kochen, mich besuchen, mich fahren, mich unterhalten, ablenken u.s.w. und das genoss ich sehr, aber…
ja, das grosse ABER!
Ich kann ja jetzt nicht krank bleiben oder mir wünschen, dass es mir schlecht geht, nur um weiterhin so fürsorglich behandelt zu werden! Seit es mir besser geht, seit ich glücklicherweise auf dem aufsteigenden Ast bin und wieder mehr Kraft habe, ist die Fürsorge schnell verblasst, der Alltag rollte wie ein 40-Tonnen-Lastwagen einfach so in mein Wohnzimmer…
…und das ist auch gut so, sagt mein Verstand.
Nun kommen aber eben diese Gespenster aus den Tiefen meiner kindlichen Seele und wie Nebelschwaden beeinflussen sie meine Gedanken. Ich sehne mich zuweilen nach dieser Aufmerksamkeit und dieser freundlichen Zuwendung. Und ich möchte dafür nicht schwer krank sein müssen.
Ich weiss ja aus eigener Erfahrung, die mich in diese aktuelle Situation brachte, dass der Alltag einen auffressen kann. Ich habe oft gedacht, was für ein Killer der Alltag auch für eine Beziehung ist. Wir haben nicht einmal Zeit, über uns selber, unser Befinden, unsere Wünsche und Bedürfnisse nachzudenken und sehr oft ist man sogar froh darüber, denn es ist nicht immer angenehm, sich mit sich selber zu beschäftigen. Wir funktionieren und sind happy, wenn wir unsere to-do-Listen abhaken können. Puh, Tagwerk geschafft: aufatmen, müde ins Bett sinken, bestenfalls schlafen, Wecker klingelt, aufstehen, ab ins Hamsterrad…
Ich habe aktuell die Chance, durch meine Krebserkrankung, Zeit zu haben, um mich mit mir zu beschäftigen. Ich mache das auch gerne, obwohl es nicht immer lustig ist. Die Krebsthematik ist nichts, was nebenbei erledigt werden kann. Vor zwei Tagen ist eine junge Mutter aus der Nachbarschaft nach 4-jährigem Kampf gestorben. Der Krebs hat gesiegt. Das hat mich so getroffen, berührt, bewegt. Wir alle wissen doch gar nicht, wieviel Zeit uns bleibt! Wir gehen davon aus, dass wir die Pensionierung erreichen und wir es dann endlich schön haben können… Gemäss meinen Ärzten ist das für mich eine Illusion.
Gespenster! Das sind Gespenster!
JETZT müssen wir leben! Und ich vermisse meine Freundin, meinen Mann, meinen Bruder, u.v.a… weil das Gespenst, das Alltag oder Hamsterrad heisst, höhnisch grinst und sagt: gewonnen!!!!!